Ja klar, das alles ändert sich. Es ist gerade 23 Uhr. Und unter anderen Umständen zu einer anderen Lebenszeit, saß ich zu dieser Uhrzeit in einem Regionalexpress von Herne nach Mönchengladbach und habe, nach einer Luzifer Sam-Probe relativ angetrunken Texte in mein Skizzenbuch geschrieben. Mein Skizzenbuch. Das war eine großartige Sache, leider wirklich kein Vergleich zum heutigen „Ich hacke die Idee mal eben ins Smartphone“. Das war ein sinnliches Erlebnis, nicht nur weil immer irgendein entweder noch betrunkener Mitfahrer etwas loswerden wollte, oder der Schaffner, den man dann doch auch irgendwann persönlich kannte, etwas auf dem Herzen hatte.
Jetzt leuchtet da oben am Rand des Displays, während ich das hier nicht mit Tusche oder Kuli auf Papier kritzel, sondern natürlich ins Display tippe, eine Push Mitteilung von Twitter auf. Ich liebe es, bevor da Zweifel aufkommen. Aber jetzt, heute, sitze ich in einem ergonomisch astreinen Sessel mit der neuesten Visions in der Hand (wenigstens DAS ist seit unglaublichen fast 30 Jahren gleich geblieben) und zappe analog zum gerade gelesenen Artikel durch Spotify und genieße unendlich viel tolle Musik.
Das ist weder besser noch schlechter als früher, es ist nur anders. Klar, ich genieße diese allzeitige Verfügbarkeit von Musik, von Kunst und Kultur, aber zum einen weiß ich selber, als Musik Schaffender, sehr genau, was das den Menschen in Wahrheit kostet, der diese Musik hervorbringt und was er davon (eben nicht) hat, zum anderen war die Spannung, die man „früher“ (was für ein Opa-Wort) aufgebracht hat, um an ein neues Album zu kommen, um ein so unglaublich Vieles immenser, größer, irrer, dass ich noch heute ziemlich genau weiß, wann und wo und mit welchem Gefühl ich ein paar wegweisende (oder einfach nur für mich geile) Platten gekauft, ausgepackt, gehört, gerochen (und gelesen) habe.
Ich genieße die Möglichkeiten, die sich heute bieten Musik zu rezipieren ungemein, anderes zu behaupten wäre unlauter, aber ab und an um 23 Uhr vermisse ich meinen Bassisten Till, das Sternrätsel, Diskussion über Slayer und einen gepflegten Rausch mittels Dosenbier im Regionalexpress.
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