14. Januar 2013
Ich unternehmen den vierten SelbstSportVersuch an exakt jenem dramatischen Tag (also heute) da NRW beginnt langfristig im Schnee zu versinken. “Gut so!”, sage ich mir, will ich doch endlich einen der extremeren Wintersportarten testen. Heute, da der Straßenverkehr eh unter den Schneemassen zu leiden scheint, ist genau der richtige Tag. Mein Ziel: Ich werde zu Fuß – das MUSS man sich erst einmal vorstellen – von meiner Arbeitsstelle die unglaubliche Strecke von 1,5 Kilometern zum Dönermann meines Vertrauens zurücklegen – bei extremem Schneefall! Und jetzt wird es heikel. Ich habe mir vorgenommen, die dönerbelegte Pide dort komplett zu verzehren und dann auch noch den Rückweg zu bestreiten – mit VOLLEM Bauch. Und das Ganze soll in einer Rekordzeit von unter 1 Stunde passieren. “Der Mann ist doch komplett lebensmüde!”, werden nun viele unter Euch rufen. Möglich, dass sie Recht haben! Allen Widrigkeiten zum Trotz starte ich, bis auf einen modischen Schal ohne besondere Wintersportkleidung.
Ich stürze mich also – wie immer furchtlos – hinaus in den tosenden Wind, der mich direkt mit stechend im Gesicht piksenden Schneeflocken der härteren Gangart begrüßt und zu sagen scheint: “Freundchen, ich werde es Dir nicht leicht machen.” Die zarten Pflänzchen des Zweifels, mir doch vielleicht eine zu große Aufgabe gestellt zu haben ignorierend, kämpfe ich mich unter den bewundernden Blicken der ängstlichen Menschen in ihren Autos vorwärts, betrete ich den von jeglicher Räumanstrengung verschont gebliebenen kleinen Park, den mein Weg zwangsläufig kreuzen muss, will ich meinen SelbstSportVersuch in einem annehmbaren und heldenhaften Maße schaffen. Alles was an ungeschütztem Haar dem Wetter ausgesetzt ist, vereist beinahe sofort – und da ist eine Menge Haar – ungeschützt.
Nachdem ich schnellen Schrittes innerhalb von … ja, was weiß ich wie viel Zeit vergangen ist, seit meinem Aufbruch. Mein Chronometer scheint genauso eingefroren seinen Dienst zu verweigern, wie mein inzwischen auf eine unmenschliche Körpertemperatur von … ja, was weiß ich wie viel Grad gesunken. Mein Thermometer scheint genauso seinen Dienst zu verweigern, wie mein inzwischen völlig ausgehungerter Organismus. Ich habe schließlich (hey, ich bin Extremsportler, die Menschen erwarten das zu Recht von mir) seit … ja, was weiß ich wie vielen Stunden nichts mehr gegessen. Mein Chronom … Ihr merkt, ich deliriere. Doch da – endlich sehe ich bereits von weitem die Lettern des Dönermannes. “Halbzeit”, denke ich mich letzter Kraft, durch meine Unterversorgung mit allem derart entkräftet, dass ich diesen Gedanken nur nuscheln, und mich somit selber kaum verstehen kann, und schleppe mich mit allerletzter Kraft durch die Glück verheißende Tür und erkenne mit allerallerletzter Kraft eine unfassbare Schlange, direkt vor mir!
Andere wären nun an dieser Stelle schlicht zusammen gebrochen, verendet. Mein Körper schüttet zum Glück ein körpereigenes Glückshormon aus, sobald ich Fleisch rieche. Alleine dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass ich durchhalte. Entkräftet stammele ich meine Bestellung und rette mich auf einen freien Platz. Und dann – endlich bringt mir der engelsgleiche Dönermann meine Kräftemobilisierende, alles gut machende Pide! Die ersten Bissen sind noch zaghaft, ich möchte meinen Magen langsam an die Wohltat und meinen Gaumen an die unfassbare Hitze des Essens gewöhnen. Doch dann, nach ca. 1 Sekunde, schlinge ich das kostbare Mahl in kräftigen Bissen hinunter.
Ein hastiger Blick zur Uhr, die ich zum Glück vor dem SSV habe im Laden installieren lassen, und schon muss ich wieder auf die Straße. Es ist hart, es ist unmenschlich, es ist Wahnsinn. Aber sofort nach dem kräftespendenden Essen und dem adäquaten Bezahlen desselben, knöpfe ich meinen noch immer von getauten Schneeflocken oberflächlich benetzten Mantel hastig zu und stürze mich, die Tür gegen den drückenden Wind kraftvoll öffnend, hinaus in das weiße Inferno. Da ich den Weg nun kenne, kann ich mich an ein paar Anhaltspunkten erinnern, wie lange es ungefähr noch dauern könnte. Man darf an dieser Stelle allerdings nicht vergessen, dass ich nun zusätzlich mit einem vollen Magen und der draus resultierenden extremen Müdigkeit zu kämpfen habe, was den ganzen Versuch am Ende noch gefährden könnte. Ich kämpfe mich Meter um Meter in Richtung meines Ziels, wähne es schon beinahe vor mir, doch dann wird mir klar, ich bin einer Schneetamorgana zum Opfer gefallen. Everestbesteiger und Winter-Games-Zocker kennen dieses in die oftmals tödliche Irre führende Phänomen. Mir wird Weiß vor den Augen und ich finde mich am Boden wieder. Zum Glück jedoch bin ich psychisch derart gut vorbereitet, dass ich mich schon nach ein paar Minuten unwürdigen Gebrabbels wieder aufraffe und meinen Weg unter größten Anstrengungen fortsetze.
Mir ist inzwischen fast alles abgefroren, was Reinhold Messner nie besaß, doch ich will es – ich will es einfach unbedingt schaffen. Und beinahe ist es so, als schaffe mein Wille alleine, was mein Körper, trotz unfassbarer Durchtrainiertheit, nicht mehr zu leisten im Stande ist. Am Ende aller Kräfte taumele ich mit einer – es wurde mir nach dem Aufwachen aus einem kurzen Koma mitgeteilt – annehmbaren Zeit von 1 Stunde und 3 Minuten wieder an meinem Ausgangspunkt ein. Ich habe mein Ziel um ganze 3 Minuten verfehlt. Ganz der Sportsmann der ich bin, gelobe ich, diesen Versuch zu wiederholen, um endlich meinem Traum, einer Zeit unter 1 Stunde näher zu kommen. Allerdings hat mich diese, mich an meine Grenzen bringende Leistung immerhin befähigt, diese wahrlich extreme Sportart zu bewerten.
Mein abschließendes Urteil nach Schulnoten:
Spaßfaktor: 3
Gesundheitsaspekt (GA): 4
Körperinterne Kalorienverbrennung (KiKav): 4-
Weizenausgleichsfaktor (WAF): 6
Bock per Minute (BpM): 3
GESAMTNOTE: 4 – VIER
Ergo – wenn Ihr nicht 100% fit und vorbereitet seid, lasst lieber die Finger davon. Das hier ist nichts für Möchtegern-Sportler oder schlicht Hungrige. Dafür gibt es Lieferheld und Co. Ich hingegen werde mich noch einmal in dieses Abenteuer stürzen, um eine neue Bestzeit aufzustellen.
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