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20. Januar 2013

Ich unternehme den sechsten Selbstsportversuch an einem noch einmal wesentlich kälteren Wintertag, als beim letztwöchigen Ausflug ins Schläge zeugende Dortmund. Dieser Tag lockt den Raimund Harmstorf, die alte Kartoffelquetsche, in mir hervor, den sogenannten Schneewolf. Ähm.
SSV6 Eis
Der dramatischen Extremität des anstehenden Wintersport-Ereignisses angemessen,kleide ich mich im hippen 80er-Zwiebellook. Als da wären Funktionsunterwäsche (die hoffentlich funktioniert), eine wärmende Kordhose, Porter-T-Shirt, Longsleeve, Holzfällerhemd, Mogwai-Kapuzensweater, Winterschuhe, Profischal, Extremlederhandschuhe, Wintermantel, MP3-Player und natürlich einen stilvollen Schirm gegen den permanenten Schneefall, der den normal gedrehten Menschen heute eher ins schützende Haus zwingt. Nicht so mich, den verschollenen dritten Zwilling dieser Extrembayerndeppen, deren Name mir gerade (zum Glück) entfallen ist. Ich bin vielleicht sogar der einzige Extremsportler Deutschlands, der sich traut, mit mehr als 12 Kleidungsstücken zu einem solchen Wettbewerb des Willens anzutreten. Doch mit diesen Gedanken darf ich meinen Geist nicht belasten, will ich das Konzentrationslevel weiterhin hochhalten.
Schneefahrt
Mit dem Motivationsohrwurm aller Wintersporthelden “Eine Schneefahrt die ist lustig, eine Schneefahrt die ist schön” im kühlen Kopf, schlittere ich über buckelpistengleiche Fahrbahnen meinem Ziel, dem unter Eis gesetzten Essener Kennedyplatz, entgegen. Auch hier und heute erwartet mich wieder ein traumhaftes Team von ausgesuchten und durchtrainierten Profisportlern, will ich doch schließlich heute den Mannschaftssport Eisstockschießen für Euch testen – nicht zu verwechseln mit dem luschigen Curling, dieser KörperLOCKerungsübung der Friseurinnung.
Das team
An der eigens für diesen einen Tag eingefrorenen Innenstadtfläche, umrahmt von Fress- und Glühweinbuden für die zahlreich aus allen Kontinenten angereisten Fans und Schaulustigen, wartet bereits mein leicht durchgefrorenes Team auf mich. Die 5 Mitspieler machen sich bereits seit 5 Uhr morgens hier kalt, um meinen immensen körperlichen Trainingsvorsprung, wenn nicht ausgleichen, dann wenigstens ein wenig mindern zu können. Aber das ist schon okay, nicht jeder ist zum Extremsportler geboren. Wie anders ich. Die Mitglieder meines Badminton-Teams (A) kennt Ihr bereits, die Kollegen, hier mit B markiert, unterstützen diesen Versuch selbstlos. Anders als ich müssen Sie sich gegen das unmenschlich kalte Wetter mit Polarforscherschutzkleidung zur Wehr setzen. Sei`s drum. Die seltsamen und etwas an Aliens gemahnenden Sportgeräte (C) und die zu Beginn noch unter meterhohem Schnee begrabene Eisbahn (D) empfangen uns mit frostiger Kälte, ablehnend und unnahbar. Desweiteren wird mein SSV zusätzlich erschwert von den kreischenden Fans (E), die natürlich Zeuge dieses einen unfassbaren sportlichen Höhepunktes in ihrer aller Leben werden wollen, sowie von dem freundlichen bärtigen Herrn (F), der uns mittels giftgrünen Sprühlacks die Zielquadrate und den Lagepunkt der sogenannten Daube (ich denke, die haben da was falsch verstanden, aber egal) markiert. Es geht eben nichts über gute Vorbereitung und perfektes Personal. Bleibt noch das Haus im Hintergrund (G) zu erwähnen, welches die fürsorgliche Stadt Essen ihrem Spitzenextremsportler (also natürlich mir) zu Ehren hat errichten lassen, welches eigens dazu dient, im Notfall meine mit übermenschlicher Kraft geschleuderten Eisstöcke zu bremsen, und die Bevölkerung der dahinter liegenden Innenstadt vor meinen Würfen zu schützen, sollte ich mich einmal wieder nicht im Zaun halten können.
Eisstock 1
Dem Wettergott das rotz… das trotzige Gesicht hinhaltend, sage ich den etwa 5 Kilogramm schweren Eisstöcken den Kampf an. Schnell sind die Mannschaften in Rot und Gelb aufgeteilt und das Spiel beginnt. Schneller schiebe ich den ersten roten Eisstock mit immenser Manneskraft über die nicht geräumte Eisbahn – und finde ebenso schnell heraus, dass ich im gelben Team bin. Derlei Verwirrungen können mich nicht schocken, hat doch auch Columbus zunächst nicht gewusst, dass er in Amerika gelandet ist. Ich schüttele diesen kleinen Rückschlag ab, wie ein einsamer Wolf den Schnee, der ihm von einem versehentlich angestubbsten Bäumchen auf die Nase gefallen ist und rappel mich wieder auf.
Stoss 1
Schlag auf Schlag, oder besser Wurf auf Wurf, entbrennt ein wildes Spiel. Ziel ist es, bei dieser – meines Dafürhaltens wahrscheinlich von tollwutgeplagten Inuid erfundenen – Sportart, 8 von diesen irrwitzig schweren Gleiterlis, möglichst nah an den am anderen Ende der Eisbahn platzierten Puck (die sog. Daube) heranzubringen. Ähnlich wie beim Boule zählen nur die Gleiterlis, die am nächsten dran sind, der nächste bekommt 3, alle anderen 2 Punkte. Es gilt als erster 21 Punkte zu ereichen. Schön ist, dass es nach kurzer Zeit gelingt (mir natürlich etwas schneller, als den anderen), eine gewisse Kontrolle über die formschönen Schiebegeräte zu erlangen. Doof ist, dass der Gegner einen stets wegknallt, wenn man gerade mal perfekt liegt. Doofer Gegner. Um diesem rauhen Sport ein wenig Stil hinzuzufügen (und weil ich der einzige bin, der den minus 6 Grad mutig ohne Mütze trotzt), besinne ich mich meiner Vorbilder, ein paar englischen Gentlemen und Mary Poppins, und führe jeden Zug ausschließlich mit einem, das Gewicht in der anderen Hand(A), ausgleichenden Schirm aus (C). Auf dem Foto scheine ich zu schweben (B) und wirklich erreiche ich schon nach kurzer Zeit eine Eleganz, die seines gleichen nicht zu finden in der Lage ist. Die irre Lange Bahn (D) ist schon bald von unser aller Würfen zu einer wahren Hochgeschwindigkeits-Eisbahn geworden, was den Aufenthalt im Zielquadrat (G), besonders wenn ich dran bin, geradezu lebensgefährlich macht. Sowohl die vom Ordnungsamt zur Sicherheit errichteten (E), als auch die durch Sponsoren (F – ich konnte einfach nicht alle nehmen) errichteten Banden, bieten nur einen geringen Schutz gegen die rohen Kräfte, die ich hier frei setze. Trotz dieser grandiosen Leistung, verlieren wir das erste Spiel mit 6:21. Ich wundere mich etwas, merke jedoch schnell, dass es sich hier um Schiebung handelt – ist es doch genau DAS, was wir hier die ganze Zeit tun, Schieben.
Finale
Aufgabe ist ein Wort, dass sich in meinem Vokabular ausschließlich mit Herausforderung definiert, daher motiviere ich mein Team in der mir eigenen Führungsstärke mit der Aussicht auf Rum und Ehre, also heißen Grog und Dank, und so wundert es wohl niemanden, dass wir im zweiten Spiel direkt mit 16:0 vorne liegen, um es schließlich doch noch knapp mit 21:16, aber glorreich zu beenden. Ich beschließe, dass es auch für mich Zeit wäre, dem Zustand meines Teams etwas näher zu kommen und genehmige mir einen Glühwein. Bums, es knallt sofort. Der Glühwein in mich, ich auf den Boden, der Eisstock in mein Gesicht. Schön, wieder einmal zeige ich meinen Fans was es heißt, Nehmerqualitäten zu besitzen und nehme noch einen. So gestärkt geht es zum Finale. Ein Stock-an-Stock-Rennen beginnt, währenddessen mal das eine, dann das andere Team führt. Doch schließlich – ich bin nicht sicher, ob es an meiner Persönlichkeit, dem stets hoch erhobenen Schirm oder schlicht meinem unausweichlichen Willen liegt – siegen wir im dritten Spiel und lassen uns von den umstehenden Zuschauern feiern. Da zu dieser Zeit bereits ein fieser Eisregen eingesetzt hat, verzichte ich darauf, vom sofort herbeigeeilten Bürgermeister den Schlüssel der Stadt entgegen zu nehmen und belohne mein Team lieber mit einem weiteren Glühwein in geheizten Räumen.

Meine Bewertung nach Schulnoten:
Spaßfaktor: 2+
Gesundheitsaspekt (GA): 3
Körperinterne Kalorienverbrennung (KiKav): 4
Weizenausgleichsfaktor (WAF): 1-
(Anmerkung: Der WAF wird hier durch den GlAF, den Glühweinausgleichsfaktor ersetzt)
Bock per Minute (BpM): 2
GESAMTNOTE: 2- • ZWEI
ERGO: Ich findet das Drumherum mit unfassbar doofer skihüttentauglicher Musik zwar eher zweifelhaft, frage mich auch, woher die Inuid damals das Metall für die Eisstücke her hatten, bin aber durchaus gewillt dieses Treiben als Sportart anzuerkennen, die es gilt, bei einer sich ergebenden Gelegenheit, einmal mehr zu betreiben. Das macht schon Spaß.