Wir sind Bewahrer.
Wir gewöhnen uns nur sehr ungern an Neues. Ungewohntes bereitet uns großes Ungemach. Im Grunde weisen wir eine klassische WDR 4-Struktur auf: „Schönes bleibt.“
Wir benutzen zwar die neuesten Rechner, bedienen mit Leichtigkeit die hippsten Apps, aber wenn wir etwas speichern wollen, suchen wir sofort nach dem Diskettensymbol. Viele der jungen Webster kennen nicht einmal mehr Disketten, was so schlimm nicht ist, aber dass die Diskette für das Speichern einer Datei steht, ist in die kollektive DNA aller Computer bedienenden Menschen eingegangen. Das muss diese Zellerinnerung sein.
Das Gleiche gilt im öffentlichen Raum. Wenn man in einer Behörde darauf hinweisen möchte, dass das Klingeln eines Telefons die Allgemeinheit stört, so bildet man in der Regel nicht ein schwarzes Rechteck mit abgerundeten Ecken ab – also jene Form, die jedes gängige Smartphones heute von Hause aus mitbringt (und die Apple jüngst erst wieder als Design-Innovation verkauft hat), sondern den Nokia-Knochen von 1998. Benötigt man generell ein Symbol, um den Menschen eine Telefonnummer anzupreisen greift man lieber gleich auf einen Hörer zurück, der in seiner Form so gewiss noch in den 80ern – da jedoch standardmäßig mit roter, grüner oder gelber samtener Schutzummantelung – in den Wohnungen zu finden war.
Wir sind Bewahrer.
Ich sitze gerade in meiner Stammkneipe und schreibe diesen Blog. Ein flüchtiger Blick auf den modernen, rechnergesteuerten Smartscreen, der im normalen Betrieb Angebote anpreist oder auf aktuelle Zeitgeschehnisse wie kürzlich den Tod von Robin Williams mit einem salutierenden „Oh Captain, my Captain“ eingeht, zeigt gerade die Oberfläche der Eingabemaske. Ein Regal aus Eichenholz vor einer jugendstiligen Brokattapete bietet reichlich mit Ornamenten verzierte Icons, die dem Benutzer ein behagliches Gefühl von stilsicher altbackener Gemütlichkeit vermitteln sollen. Ähnliches kennt man von Fernsehermenüs oder ähnlichen technischen Oberflächen, die allesamt mittels digitaler Texturen eine Welt vorgaukeln, die wir real nicht mehr um uns haben.
Klar sehen wir uns als moderne Menschen, doch die Ikonografie unserer Moderne wird noch immer heftig bestimmt durch die Welt unserer Vorfahren. Zeitungen im Netz – obschon völlig frei von technischer oder ästhetischer Reglementierung – weisen vom Layout her zumeist exakt das gleiche Erscheinungsbild auf, von den klassischen Papierkonkurrenten, deren Erbe sie antreten wollen. Die Armaturenbretter der neuesten Wagen der Nobelklassen, bis unter das Dach vollgestopft mit neuester Technologie, kleiden sich in gemaserte Edelhölzer, die unseren Urgroßeltern zur Ehre gereicht hätten.
Wir sind Bewahrer.
Und der Spießer, der Gemütliche, der eigentlich in Uromas Wohnzimmer gemütlich vor dem Kamin sitzen Wollende wohnt tief in uns. Es scheint einen gesellschaftlichen Konsens zu geben, von dem was erstrebenswert ist. Und dieses Level möchten wir zunächst erreichen und dann halten. Wir schmücken es gerne reichlich aus mit dem Neuesten Schnickschnack, aber die Messlatte der Umgebung, die Benchmark des Grades an Gemütlichkeit und Heimeligkeit hat sich seit Jahrzehnten nicht verschoben.
Ich wage zu behaupten, dass uns die Diskette, der Telefonhörer und alle ihre Symbolbrüder und Symbolschwestern auch in 20 Jahren noch begleiten werden.
Wir sind – im Grunde unseres Herzens – Bewahrer.
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