Es ist ein großes, buntes, verwinkeltes Dorf, dieses Neuland mit all seinenEinwohnern. Doch ist das alles so neu und ungewohnt? Führen wir nicht online einfach das weiter, was wir in der alten, abgeleinten Welt seit jeher praktizieren?
Gehen wir doch einfach mal auf die Straße von Neuland. Da fängt es ja schon an. Gehen wir zunächst auf die Hauptstraße oder auf eine der unzähligen Nebenstraßen. Ich denke, wir folgen zuerst einmal der Masse. Da drüben stehen diese riesigen Wohnblocks. Von außen sehen die ganz schön anonym aus, wenig einladend und über dem Eingangsportal prangt in riesigen Lettern das leuchtend blaue Facebook. Die Wohnungen hier sind geräumig, recht preiswert und man hat schnell Kontakt zu anderen Einwohnern. Die einzelnen Appartments sind verbunden durch großzügige Innenhöfe voller bunter Attraktionen. Man kommt sehr schnell ins Gespräch mit Fremden, bis einem auffällt, dass es sich zumeist um flüchtige Bekannte handelt, die man seit Urzeiten nicht mehr gesehen hat. Oftmals aus gutem Grund. Es ist nicht so richtig gemütlich hier, aber das stört die meisten Einwohner nicht wirklich, sind sie doch hier eingezogen, um sich recht unkompliziert in Smalltalk zu üben. Eingekauft wird gerne auf Empfehlung und dann zumeist im Großhandel. Man ist zwar amüsiert, wenn man Menschen begegnet, die einer gepflegten Aussprache nicht mächtig sind, toleriert diese aber großzügig. Es ist nicht unbedingt erstrebenswert hier zu wohnen, doch für jeden erschwinglich und niemand bleibt so richtig allein.
Wem es hier zu schlicht oder auch zu urban ist, der zieht lieber etwas weiter raus ins Grüne, in jenen unübersichtlich verzweigten Vorort, der sich Twitter nennt. Hier wohnen weitaus weniger Menschen, genau genommen nur ein Bruchteil derer, die das benachbarte Facebook bevölkern, dafür erstrecken sich hier, kleine Hütten mit Garten, mondäne Villen oder Einfamilienhäuser, soweit das Auge reicht. Die Menschen, die es hierher zieht, kennen sich nicht von früher, doch sie alle eint das Bestreben, sich fernab der Großstadt neu zu beweisen. Man möchte es schön haben, aber nicht mit jedem. Eine bewusste Distanzhaltung und feste Prinzipien bestimmen das Wesen der meisten Einwohner von Twitter. Diese Vorortsiedlungen sind ein wenig aufgebaut wie das klassische Dorf aus eigentlich vergangenen Tagen. Es gibt Einzelhandelsgeschäfte, einen Dorfplatz und man trifft sich, wenn man mit dem Hund oder seinem Spleen Gassi geht. Man begrüßt sich am Morgen, isst zusammen im Biergarten, trinkt abends zusammen und geht nicht eher ins Bett, bis man nicht auch dem Letzten eine gute Nacht gewünscht hat. Dazwischen streitet man über Politik, fängt Einhörner im Wald oder bereitet gemeinsam Mett in den unterschiedlichsten Variationen zu. Es mag an der geringen Einwohnerzahl liegen, dass es hier um ein Großteil familiär zugeht, als drüben in der Megacity. Dafür streitet man hier aber auch mitunter bis aufs Blut, wenn es um politische Themen geht.
Zwischen der Großstadt und den Dörfern liegt der schnell gewachsene Vorort, den man eher als städtisches Randgebiet ansehen kann. Google+ wird oftmals bevölkert von vielen Menschen, die sowohl ein Appartment in Facebook, aber auch ein kleines Haus in Twitter ihr eigen nennen. Vor ein paar Jahren galt es als schick, den damals noch streng limiitierten Vorort zu bevölkern, doch so sehr die Immobilienmakler auch trommelten, ein richtiges Flair hat Google+ nie entwickelt und so ist es heute einer jener Trabantenstädte, die es nicht so richtig über den Status einer Schlafstadt hinaus gebracht haben, auch wenn die Makler weiter trommeln.
Weitaus glamouröser, aber auch oberflächlicher gibt sich da die kleine Enklave Instagram. Gegründet durch Anhänger des Prä-Web-2.0schen Applekults, werden die kleinen, dicht mit Bildern behangenen Behausungen, heutzutage zumeist genutzt, als eine Art Feriensiedlung der Twitterianer. Kaum ein Instagrammieter, der nicht ein Häuschen im benachbarten Twitter sein eigen nennt. In Instagram wird gegessen, gegessen, gegessen und wenn dann noch Zeit ist, fotografiert man den Himmel oder – so man eine Frau ist – wahlweise seine Beine. Man versteht sich mitunter gerne als Künstlersiedlung, allerdings wird eigentlich nur gelobt, was man mag oder glaubt es loben zu müssen, um gelobt zu werden. Eine offene Streitkultur ist hier eher fehl am Platz.
Zum Arbeiten gehen die meisten Einwohner ein paar Straßen weiter zu den Vierteln Xing oder LinkedIn, hier gibt man sich seriös und kravattiert, ganz gleich, ob man sein Häuschen in Twitter oder seine Wohnung in Facebook unterhält. Man lobt ungeniert, wie es sonst nur Kinder tun, seine eigenen Leistungen und Qualifikationen, lässt diese durch Bekannte bestätigen und gibt sich wundervolle Titel. Ähnlich wie in den Wohnblocks von Facebook, zählt hier nicht, wie man wirklich ist, sondern ob man das, was man vorgibt zu sein, auch glaubhaft darstellen kann. Und man gibt sich wundervolle Titel. Gerade LinkedIn ist vielleicht sogar der amerikanischste Teil von Neuland, alleine schon wegen der wundervollen Titel. Fakt ist, wer etwas auf sich hält und beruflich weiterkommen möchte, sollte sich ein schickes, vorzeigbares Büro in diesem Businessviertel einrichten.
Dann gibt es noch die wikden Kreativviertel Blogger, WordPress, Tumblr und Co. Je nach Neigung, mieten sich hier einige Bewohner aus Facebook – prozentual zur Bevölkerungsdichte jedoch wiederum weitaus mehr Einwohner von Twitter und Google+ – schicke, schmuddelige oder nach allen Regeln der Kunst aufgehipte Ateliers und Schreibwerkstätten an. Hier werden existenzielle Texte roh in kargen Hinterhöfen ausgehängt, in der direkten Nachbarschaft von Hochglanzfotografien, die die heißesten Trends in Sachen Mode, Kunst, Essen, Nippes, Leben, Wohnen, Sterben, Spielen, Antüddeln und einfach von allem vor die Füße des schon längst gestolperten und der Länge nach hingeschlagenen Betrachters kippen. Ein Feingeist, wer da auf die schnelle zu unterscheiden weiß, zwischen Anspruch und Hybris. Aber wie auch immer das Urteil ausfällt, es sage später niemand, man hätte nichts zu lesen oder die Möglichkeit zur Diskussion gehabt. Die Hinterhöfe dieser Viertel gelten oft als unsicher, aber dies wird wie so oft von jenen kolportiert, die sich dort noch niemals eine Nacht um die Ohne geschlagen haben.
Damit man sich bei all dem nicht verliert in den Weiten Neulands, trägt man sich ins Einwohnermeldeamt von about.me ein. Eine weniger pathetische, jedoch umso umfangreichere Straßentafel, die einen an vielen Kreuzungen nicht den Überblick verlieren lässt.
Hier findet man beispielsweise den Hinweis auf so spannende und boomende Orte wie Pinterest und Vine, aber auch auf nerdigere, hermetischere Enklaven wie Spreaker.
Früher gab es noch die lebendige Straßenkarte FourSquare, die den Bewohnern von Neuland spielerisch ermöglichte, sich in ihrem Bewegungsdrang zu messen. Doch der senile Bürgermeister von FourSquare verstand den Spieltrieb der Menschen nicht und zündete so selber die Lunte an, die sein Werk gerade implodieren lässt.
Das, liebe Freunde, waren nur die populären Landstriche von Neuland. Das Gute ist, dass es so unendlich viel zu entdecken gibt und noch besser ist für einige innovative Täler und Bergregionen wohl, dass der Mainstream-Tourismus sie wohl nie entdecken wird.
Hoffen wir, dass Boomtowns wie Whatsapp auch weiterhin die Massen anlocken und feiern wir die Vielfalt des Unbekannten.
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