Pixel türmen sich übereinander. Funkelnde Farbklötze bilden Landschaften, Gegenstände, Menschen. Bunte Klötze werden zu Bewegung, verschwimmen schließlich doch wieder zu vage definierbaren Massen.
Natürlich war es ein langer Weg. Es ist auch kaum schöner geworden. Nicht im Wortsinn. Brillanz und Schärfe sind eine der härtesten Währungen derzeit. Dem Sehenden schlägt die Stunde. Dem Sehenden gehört die Welt. Die Welt der Sehenden. Ja, die Sehenden. Was sehen die eigentlich? Sie hatte sich schon immer gefragt, was das soll. Sehen. Was nutzte es zu sehen, wenn man es doch nicht zu benutzen verstand. Wenn man es im Grunde gar nicht verstand.
Es nervte sie schon, seit sie zu denken gelernt hatte. Seit sie spürte, wie sehr das Sehen die Realität zu beeinflussen verstand. Mitunter auch das Gesehenwerden. Es kam ihr einfach falsch vor. Es war falsch, wie die Menschen es lernten. Es war falsch, wie unabhängig das Sehen vom Denken funktionierte. Es war einfach grauenhaft falsch, dass das Sehen so beeinflussbar war, dass es jedem Zweck zu Kreuze kriechen muss, dass es als Wasserträger für so viele schlechte Gedanken herhalten musste.
Irgendwann beschloss sie einfach damit aufzuhören. Es passierte von jetzt auf gleich. Sie war gerade 15 geworden. Ihre Eltern hätten ihr etwas aus ihrer Sicht Wunderbares schenken wollen, sie hatte auch gar nicht die Absicht, sie vor den Kopf zu stoßen. Dennoch hörte sie einfach auf. Sie hörte auf und im gleichen Moment hörte es auf. Alles verschwamm vor ihren Augen, wurde unscharf, schmolz zusammen. Es wurde fließend. Eine unmerkbare, kurze Sekunde des Ungewohnten, ließ sie das Grinsen, das unmittelbar auf sie folgte, sie sofort ausfüllen, wie einen sie bar jeder Bedrohung durchströmenden Lavastrom, der jede Zelle in ihr vor Glück fast zu sprengen drohte.
In dem Moment, da sie es einfach sein ließ, begann sie klar zu sehen. Der Verlust bereicherte sie derart, dass sie beschloss, das es gut war. Sie beschloss es und sie fühlte es. Niemand, wirklich niemand verstand sie. Wie auch. In den folgenden Monaten wurde Hilfe eingeholt, von allen, wirklich allen Seiten. Hilfe, die natürlich scheiterte. Hilf niemals einem glücklichen Menschen, der sich nicht helfen lassen möchte. Sie war in der Tat ganz in der Nähe von glücklich.
Doch seit einiger Zeit spürte sie etwas Seltsames. Die sich umeinander tummelnden Pixel begannen ein seltsames Eigenleben. Sie scharrten sich umeinander, ja sie rotteten sich zu überschäumenden Gesamtbildern zusammen. Als es ihr bewusst wurde, erschrak Sie derart, dass sie sich um eine Klarheit bemühen musste, derer habhaft zu sein, sie sich mit einigem Aufwand überwinden musste. Die verwischten Klumpen begannen sie der Deutungshoheit zu berauben. Die sich plötzlich wieder abzeichnenden Bilder wurden auf eine perverse Art klar vor ihren Augen. Vor diesen Augen, die sie doch verlernt hatte zu benutzen, denen sie nie wieder trauen wollte.
So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihren Augen weiterhin befehlen, ihr die Informationen zu liefern, die sie bereit war wahrzunehmen. Sie konnte das alles, was sie immer gewollt hatte. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihr Kopf, Ihr Gehirn, Ihr Verstand auch aus dem bisschen Datenmüll all das zusammen setzte, was sie beschlossen hatte nie wieder sehen zu wollen. Pixel um Pixel ergänzten sich. Klotz um Klotz begannen einen Tanz um sich selbst. Die Neuverformung der Wirklichkeit hatte begonnen. Sie versuchte alles, um den Wahnsinn weg zu wünschen. Ihr Wille verweigerte ihr den Gehorsam, drängte sie in genau die Ecke, die sie durch ihre Entscheidung auf ewig zu verlassen suchte. Pixel um Pixel, Klotz um Klotz, Farbmatsche um Farbmatsche umkreisten sie, prügelten auf sie ein, hagelten ihr Lichtblitze ins Hirn, folterten ihre Gedanken mit Realität bis … ja bis …
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