Es ist so unendlich tragisch. Es ist grauenhaft. Es ist nicht mit anzusehen, wie Du Dich tagtäglich quälst und marterst, Dir das Letzte abverlangt und doch keinen Meter weiter kommst.
Zumindest sah ich Dein stetes Scheitern vor meinem geistigen Auge. Eine Donna Quichote der Straße. Verdammt auf ewig gegen sich selber und die Ängste die Dich umtreiben zu kämpfen. Ausweglos. Ein Musiker, der immer und immer weiter übt, wird irgendwann – das nötige Talent vorausgesetzt – zu einer gewissen Exzellenz finden. Einem Maler der dran bleibt und sein Sujet von Bild zu Bild erst findet und schließlich ein Leben lang perfektioniert, wird man das Fortkommen im nichtmobilen Sinne anmerken, ihn für seinen steten Wandel bewundern.
Doch Du tatest mir direkt leid. Dich sah ich heute Abend an der Ampel stehen. Stehen? Nein, Du bewegtest Dich eigentümlich unstet, rastlos. Du hibbeltest von einem Bein aufs andere. Du warst nicht mehr die Jüngste, was nichts Schlimmes ist, es fiel nur sofort ins Auge, weil Deine Kleidung einem von Weitem suggerieren wollte, dass ein junger, ach so mobiler Mensch in ihr steckt. Es schien beinahe so, als trügest nicht Du sie, sondern würdest von ihr geführt. Meter für Meter, Schritt für Schritt. Ich musste sofort an Spiderman denken, als er – wiederkehrend vom interstellaren Kampf Gut gegen Böse – in sein seltsames neues schwarzes Kostüm wechselte, welches ein perfides Eigenleben und damit ihn führte. Dein Kostüm führte Dich ebenso, schwante mir in den 20 flüchtigen Sekunden, die die Ampel, die mich aufzuhalten vorgab, um einen kurzen Blick in Dein Leben zu werfen. Dein ausgemergeltes Gesicht rang nach Sauerstoff und sichtlich nach Fassung. Die Fußgängerampel passte nicht in Dein Konzept, Dein Puls begann sich zu beruhigen und die bestimmt teure Pulsuhr hämmerte Dir diese Tatsache unnachgiebig in die Augen. Der polare Brustgurt sandte das unfehlbare Signal aus, dass Dein Herzschlag nicht mehr auf dem nötigen Level bleiben wollte.
Daher das Gehibbel und der flehende Blick auf die beiden roten Männchen, dachte ich. Deine Figur dankte Dir Deine täglichen Anstrengungen sichtbar mit den wohldefinierten Konturen einer jungen Frau. Dein Gesicht zeigte sich dem höhnisch und sehr ungebührlich gegenüber und bestrafte die fettreduzierten Anstrengungen mit ausgemergelter Reife, die Dein Gesicht lummerlandgleich zu dem einer Scheinlolita machte. Vielleicht war es auch das Zählen der winzigen Körner beim genussvollen Müsli jeden Morgen, das Dich die Augen zusammen kneifen ließ, was tiefe Rillen in Deine Stirn meißelte, wo einfach zu wenig Fleisch von zu viel Haut gehalten wurde. Ich fragte mich in jenem Moment, warum Würde und Altern zwei so schwierige, sich scheinbar so oft bekämpfende Dinge sein können. Wie dem auch sein, es waren nur Sekunden und als die Ampel mir das grüne Licht zeigte, warst Du so schnell vergessen, wie das Lied im Autoradio brauchte, um zum erwartet frühen Refrain zu kommen.
Aber eben nicht ganz. Gerade muss ich an Dich denken. Ich habe gekocht. Fettig, gehaltvoll, lecker und ungesund spät, mitten in der Nacht. Und während ich voller Lust die Gabel in meine Speise jage, wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel, aus ehrlich empfundenem Mitgefühl.
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