„Ich atme Glut“, sagte sie ohne einen Anflug von Schmerz
oder Unzufriedenheit.
Ein zäher Moment des Nachdenkens hinterließ seine klebrige Spur
auf den Randnotizen der verstreichenden Zeit und tropfte wie
frisches Harz zwischen seine Unterlagen, in denen er unmotiviert mit
kalten Fingern blätterte, gewiss, nicht das Geringste zu finden, das
ihr helfen könnte. Das ihm helfen könnte ihr zu helfen.
„Seit wann verspüren sie es?“, fragte er sichtbar hilflos. Er
schaute sie mittelbar an, so distanziert, wie es eben ging, wenn man
sich direkt gegenübersaß, getrennt von nichts als auf das Äußerste
komprimierter Zeit, die sich puffernd zwischen jedes seiner eisigen
Worte drängte, ganz als müsse sie die Bedeutungen eines jeden
trennen, um sie vor Gewalt gegen sich selber zu schützen.
„Ich denke, schon immer.
Ich habe es nur zuvor nicht gemerkt.“
Sie spürte seinen um Verständnis bemühten Blick. Seine Pupillen
schienen direkt in die ihren zu sehen, ohne sie jedoch wahrzunehmen.
Ein Blick, dem jede Wärme bereits abhanden gekommen war,
den man einsetzte, wenn man sich nicht die Blöße geben wollte,
auf den Boden, in die Luft oder in die Leere dazwischen zu starren.
Ein Blick, der noch viel schmerzlicher war als schlichtes Wegsehen.
Zwischen ihnen gab es einen Temperaturunterschied, den zu messen
kein Thermometer in der Lage gewesen wäre.
Ich bin hier, wollte sie rufen. Ich bin doch hier. Sie schwitzte.
„Ist es, wie ich es mir vorstelle?“, bohrte er halbherzig, beinahe
auch körperlich abwesend, und warf sich das Ende des dünnen
Schals über die Schulter. „Tut es weh, brennt es, ich meine …
… ist es wie …“
„Nein.“, unterbrach sie die sich selber in ihrer selbstgerechten
Masse bestätigenden und aufblähenden Worthülsen. Seine
sich selbst auf die Schulter klopfenden Hände gefroren vor ihren
funkelnden Augen zu Eis, fielen zu Boden und verteilten sich
splitternd in konturlosen Brocken auf dem Parkett, ohne auch
nur einen Kratzer, eine Spur zu hinterlassen.
„Ich atme Glut“, wiederholte sie sachlich und sah ihm durch
die erkalteten Augen in sein Herz. In diesem Moment wurde ihr klar,
dass sie sich nicht weiter würde bemühen müssen. Dieser Mann
würde eher in sich selbst gefrieren, als ihr auch nur einen Zentimeter
Verständnis entgegenzubringen. Er konnte es nicht.
Und sie wusste es.
Sie erhob sich mit einer grazilen Bewegung aus dem Sessel und
schmolz die gefrorene Zeit mit einem Moment knisternden Aufloderns,
um sie herum bildete sich eine funkensprühende Aura, die
ihn zurückweichen ließ.
„Ich werde nun gehen“, sagte sie ruhig und ohne Groll.
Der Mann konnte sie nur mit zusammen gekniffenen Augen
betrachten und musste seinen Schal lockern. Er wollte etwas sagen,
vielleicht um seine eigene Anspannung zu lösen, sein plötzlich
wahrgenommenes Unwohlsein zu mildern.
„Nein“, sagte sie und neigte ihren Kopf zur Seite. Der Mann
gefror in seiner Bewegung, die sich ausschließlich um seinen Mund
herum abzuspielen begonnen hatte und passte sich in Mimik und
Ausdruck seinen glazialen Augen an.
„Aber … Ihr Problem …“, zwang er sich pflichtbewusst
zwischen seinen Lippen als Laut heraus zu pressen. Seine Augen
waren, vielleicht aus Angst vor etwaigen inneren Verbrennungen,
nun nicht mehr als dünne Schlitze, aus denen sich nicht einmal mehr
ein Lichtstrahl als funkelnder Reflex zurück verirrte.
„Ich habe kein Problem“, sagte sie im Wegdrehen und
öffnete die Tür.
„Was … was soll ich denn nun sagen, was Sie …?“,
stammelte er, hörbar besorgter um sich selbst als um sie.
„Sagen Sie einfach“, erwiderte sie mit warmer Stimme,
während sich die Tür zu einem ihn nun vollends blendenden Spalt
verengte, „ich atme Glut.“
Sie schloss die Tür lautlos und begann ihr Leben.
Auszug aus „Der Virologische Magnet“ – bald GRATIS auch über diesen Kanal – Also Augen auf!
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