Ich war so etwa 12 Jahre alt, da schrieb ich eine kleine Abhandlung über den Zusammenhang zwischen dem Wörtchen „je“ und seinem oftmals zusammen mit ihm auftretenden Bruder „desto“. Ich tippte es auf einer alten Olivetti Schreibmaschine, kopierte das Ganze ein paar Mal, tackerte es zusammen, nannte das Ganze Buch und verkaufte es an meine Familie für 20 Pfennig.
30 Jahre später, bin ich nach wie vor fasziniert von Wechselwirkungen und Wortklaubereien. Und immer noch bedingt ein oftmals kleines „je“, stets ein mitunter ausuferndes „desto“. Gerade jetzt, da ich mich in einem Moment der größten Entspannung inmitten, mir leider immer noch viel zu urbaner und naherholender Natur, befinde, schreien die Gedanken, die so gar nichts mit Ruhe zu tun haben in meinem Kopf.
Im Prinzip kann man – was mich und meine Gedanken angeht, die sich um Literatur, Musik, Kunst im Allgemeinen, das Leben und die Gesellschaft drehen können – von immer der gleichen Faustformel ausgehen: je ruhiger, entspannter, natürlicher eine Umgebung ist, also je harmonischer sich mir das Umfeld, in dem ich mich aufhalte präsentiert, desto tiefer, ernster, revolutionärer werden meine Gedanken und die künstlerische Umsetzung derselben. Letztere kann jedoch in Form eines Liedtextes, eines Bildes oder was auch immer, erst Wochen später erfolgen.
Ich stelle das gerade jetzt wieder bewusst fest, da ich den erquickenden Blick auf einen See genießen darf, mit angenehm wenig Menschen in der Nähe. Ein Gefühl innerer Entspannung ob des gerade genossenen Eindrucks äußerer Ruhe. Es ist das – abgeschwächte – Gefühl dessen, was mich stets überkommt, wenn ich auf einsamen Bergpfaden in erhabener Höhe dem Lärm und dem Unfall der Zivilisation entkomme. Vielleicht brauche ich den Kontrast, um frei zu reflektieren. Vielleicht benötige ich die unbändige Natur, das pure, raue, wunderschöne Angesicht dieser uns Menschen im Gegenzug absolut nicht benötigenden Natur, um meine Gedanken zielführend zu schärfen. Um sie in Stellung zu bringen. Gegen eben all das, was Menschen anderen Menschen antun, im Sinne des Profits oder um Macht zu erlangen, was immer das bedeutet. Macht – was für ein im Grunde lächerliches Wort. Besonders angesichts der wahren Macht: der Natur.
Ich bin mir bewusst, dass ich gerade leicht hippiesk oder gar menschenscheu klingen muss, aber wer von euch einmal allein auf einem hohen Berggipfel stehen, den Blick über menschenleere Matten und Felswände lenken durfte, und angesichts dieser ohrenbetäubenden Ruhe gleichzeitig glücklich aber auch unbändig wütend wurde, weiß gewiss was ich meine.
Im Grunde ist es aber auch völlig egal, ob Euch dieser Zustand in der Natur, auf einem Rockkonzert, im Garten bei einem Glas Rotwein oder angesichts Eures Lieblingsbildes ereilt. Es gibt äußere, äußerst friedfertige Einflüsse, die einem vor Auge führen können, was die Welt zu bieten hat und was wir daraus machen. Es ist auch unglaublich schnuppe, was uns bewegt, den Arsch hochzukriegen, der Auslöser ist ohnehin für jeden individuell, wichtig ist, dass es passiert.
Damit negiere ich natürlich das klassische Bluesmusiker-Klischee, nach denen man die besten Songs schreibt, wenn man traurig ist. Aber wenn ich traurig bin, bin ich nicht gut. Dann bin ich traurig.
Und das was ich heute vom Grunde meines Herzens weiß, was den Antrieb meines gesamten kreativen Schaffens ausmacht, wusste ich scheinbar bereits vor 30 Jahren, als ich mein „erstes Buch“ schrieb:
Je besser es mir geht, desto mehr wird mir bewusst, was ich nicht will!
Je schöner die Umgebung, desto wütender ein Songtext.
Je entspannter ich bin, desto expressiver ein Bild.
Und im Grunde ist es doch auch beruhigend, dass ich irgendwo noch immer 12 bin.
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