Wann immer man als Musiker nach musikalischen Vorbildern gefragt wird, und das ist im Grunde ständig der (freie) Fall (sogar, wenn man im Grunde kein Musiker sondern Schlagzeuger ist), antwortet man zumeist vorschnell und im Grunde nicht wirklich ehrlich. Zum einen hat man natürlich welche, zum anderen sind die aber eventuell so peinlich, dass man sie lieber niemandem verrät.
Aber wer sollen die auch sein, die musikalischen Vorbilder? Etwa die Typen, denen man in der Kindheit und Jugend nachgehangen hat wie nichts Gutes, dessen Poster man an der Kinderzimmerwand hängen hatte und die man bis aufs Blut gegen seine Eltern verteidigt hat, nur weil man eben damals jung und empfänglich war für alles Neue, egal was das war und woher das kam? Paul Young? Manowar? Kajagoogoo? Mike Oldfield? Paul Hardcastle? Echt jetzt?
Oder vielleicht die Musikschaffenden, die einen dann abgeholt haben, als man sich schon bewusst machte, was man da hörte? Die Steigbügelhalter des eigenen Geschmacks? Helloween? Joy Divison? AC-DC? Die Waterboys? Fields Of The Nephilim? Led Zeppelin? They Might Be Giants?
Um nicht falsch verstanden zu werden, alle diese Bands hatten (und haben teilweise bis heute) ihre Zeit in meinen Ohren, aber je älter ich wurde, desto mehr wurde mir klar, dass ich mich in meinem eigenen Schaffen guten Gewissens nur auf jene Musiker würde beziehen können und wollen, die ich von ihrem Wesen her schätzte. Das, wofür sie oberflächlich standen, eben die Musik, musste mir natürlich in erster Linie gefallen, mich flashen, wegfegen, umhauen und faszinieren – aber all das war im Grunde nichts wert, wenn (ganz wichtig) die Texte belanglos, nebensächlich oder schlicht auch nur schlecht waren, wenn da kein bisschen Haltung von der Band ausging, egal ob politisch oder persönlich, oder wenn die Musiker dahinter einfach nur Arschlöcher waren.
Daher kommt es natürlich auch, dass ich so unterschiedlichen Musikrichtungen mein Ohr leihe, für so vieles brenne. Diesem Umstand habe ich im Übrigen auch zu verdanken, dass ich weiterhin Neues entdecken darf, nicht limitiert bin auf einen Stil, eine Schublade und schon gar nicht auf das Bisschen Musik aus meiner frühen Jugend. Es ist – und das sollte es immer sein – so was von scheißegal, wie das heißt, was die Menschen da machen, denen Du zuhörst, wie es klassifiziert und abgestempelt wird. Ich selber stempele allerdings natürlich auch. Logisch. Macht ja auch großen Spaß.
Wenn man mich also allen Ernstes nach meinen musikalischen Vorbildern fragt, dann müssen das gar nicht mal unbedingt die Bands sein, die ich am liebsten höre.
Vielleicht höre ich heutzutage selten die Housemartins, liebe aber ihren Ethos, ihren 5-Jahresplan, den sie eisenhart durchgezogen und an deren Ende sie sich konsequenterweise und mit großem Witz, dargebracht in inhaltlich aufeinander bezogenen Videos, aufgelöst haben.
Vielleicht ist John Bonham an seiner eigene Kotze erstickt, aber er hat ein gnadenloses Energie-Schlagzeugspiel etabliert, was noch heute, 38 (Stand 2018) nach seinem Tod, seines gleichen an Intensität und Wucht sucht.
Vielleicht sind die powermetalisierenden Blind Guardian nicht der Konsens an gesellschaftsrelevanter Musik, aber sie haben mir gezeigt, dass Musik mehr ist als bloßes Rezipieren, dass man in Musik eintauchen kann, vor allem aber, dass die Musik eine Heimstatt sein kann für fantasiebegabte Nerds. Nicht nur das vage Gefühl, nicht alleine zu sein, sondern das dahingehend sogar eingelöste Versprechen, das damals (für mich) nur der Metal halten konnte.
Vielleicht ist Lemmy immer schon ein versoffener Hurenbock gewesen, aber er war der gewissenhafteste versoffene Hurenbock der Welt. Jeder kann Dir Scheiße erzählen, Du wusstest aber genau, Lemmy tat`s nicht. Schlicht und einfach, weil er es nicht brauchte. Von Lemmy lernen, heißt zu lernen ehrlich und offen, schlicht authentisch zu sein.
Vielleicht sind Thin Lizzy heutzutage nur noch wirklichen Rockmusik-Fans ein Begriff, vielleicht hat Phil Lynot ein paar Drogen zu viel konsumiert. Das alles ist in diesem Fall komplett egal, denn diese Band hat Iron Maiden ermöglicht, überhaupt die ganze NWOBHM, die mich als Teenager genau deshalb geprägt hat, weil die Instrumente miteinander geredet haben. Es war nicht wie im Punk, wo jedes Instrument sein Ding gemacht hat, und das möglichst laut. Es war nicht wie im Wave, wo die Isolation, möglichst großer Abstand von jedem zu jedem das große Ding war. Es war ein Zuhören, Reagieren, Aufnehmen und Interpretieren. Das ist für mich der Inbegriff von „zusammen Musik machen“.
Vielleicht sind das alles nicht wirklich die Musiker, deren Schöpfungen mich alltäglich beschallen. Vielleicht ist es ein Mike Ness, der mit seinem legendären Satz „You can take the boy out of Punkrock, but you can`t take Punkrock out of the boy“ immer wieder zu sehr viel Gelassenheit in meinem Leben beigetragen hat. Vielleicht sind es meine Lieblinge von Boysetsfire, die zwar auch nicht jeden Tag bei mir rauf und runter laufen, die mir aber dennoch aufgrund ihrer positiven, lebensbejahenden Haltung immer wieder neue Energie geben, auch und gerade im Hinblick darauf selber kreativ zu werden.
Vielleicht sind es gerade nicht die technisch versierten Musiker, die perfekten und glatten, die unfehlbaren und unerreichbaren, die zum Vorbild taugen. Vielleicht sind es gerade diejenigen, die schon mit ein oder zwei Beinen durch ihre private Hölle gegangen und gestärkt daraus zurück gekehrt sind. Vielleicht achte ich eben doch viel mehr auf die inhaltsschweren, die komplizierten, sperrigen Texte, als auf die, die in purer Schönheit erstrahlen.
Vielleicht sind genau aus all diesen Gründen meine musikalischen Vorbilder diejenigen, die etwas zu sagen haben, die auch dann nicht damit aufhören, wenn keiner zuhört (um es mit FJORT zu sagen: „die das Maul nicht halten können, weil es sonst jeder tut“). Vielleicht geht es um Haltung und Humor – ja, das geht zusammen. Ich bin dankbar für jeden einzelnen dieser Menschen.
Vielleicht sollte ich das Wort „vielleicht“ durch „ganz bestimmt“ austauschen.
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