Und als wir einmal mehr so darüber raisonierten, dass Porter für alle Bandmitglieder die Band ist, in der wir in unserer Musikerkarriere am längsten gespielt haben, sprangen wir Jahr um Jahr zurück in unserer teils gemeinsamen Vergangenheit. Musiker, Freunde, vergangene Bands, eigene wie fremde, tauchten vor unserem geistigen Auge auf und plötzlich waren sie alle wieder da. Die erlebten Geschichten rund um wahrhaft verrückte Auftritte, legendäre Parties, einmalige Menschen, die man getroffen, mit denen man Musik gemacht, eine Bühne oder einen verwegenen Traum geteilt, die man ins Herz geschlossen und dennoch oftmals so rasch wieder verloren hat.
Das Gute an der Erinnerung an meine musikalische Vergangenheit ist, dass es schlicht nichts gibt, was ich aus heutiger Sicht wirklich bereuen würde. Klar würde man – wenn man denn könnte – an sehr vielen Stellen andere Entscheidungen treffen. Denkt man. Stimmt aber nicht, denn wir haben alles was geschah aus der damaligen Überzeugung heraus gemacht. Und auch wenn der Pathos hier aus den Leerzeichen trieft, ich bin verdammt stolz auf das, was wir geschafft haben. Wäre auch traurig wenn nicht. Schließlich haben wir zeitmusikerlebens immer Herzblut, Arbeitsschweiß und Tränen ins verdammte Feuer des Rock’n’Roll gegossen. Nicht zuletzt all die Jahre an Zeit und Unmengen an Geld, welches wir in barer Münze zurückzubekommen niemals die Erwartung hatten. Selbiges tun wir auch heute noch und werden es wohl immer machen, was mich nicht weniger froh stimmt, als das Erlebte. Bezeichnenderweise erreicht mich inmitten der Arbeit eine Mail meines Weggefährten und Gitarristen Frank, mit dem ich nun seit 23 Jahren Musik mache. Und ohne den Inhalt dieser Mail hier kundzutun darf ich sagen, dass sich seine Gefühle mit denen in den letzten Zeilen hier absolut decken.
Wir sind niemals, mit welcher Band auch immer aus der Independent-Ecke heraus gekommen und vielleicht – so hat Lars es einmal ausgedrückt – sind wir deshalb alle noch am Leben und relativ gesund. Es gab Momente der Weichenstellung, die wir im Bandkollektiv einstimmig treffen mussten, und die wir kurzzeitig beklagt haben, weil es uns einen spannenden Impuls hätte geben können. Die vielen Konjunktive drücken hervorragend meine heutige Sicht auf die damalige Entscheidung aus. Ich bin froh, dass wir da sind, wo wir sind. Dass wir uns in die Augen sehen und miteinander Musik machen können. Und dass wir es wollen. Ab einem gewissen Alter – machen wir uns nichts vor – ist das großes Glück. So viele unserer Weggefährten haben aufgehört, spielen in Top 40-Coverbands oder bedröhnen Schützenfeste mit Bluesklassikern. Das soll nicht überheblich klingen, ich bin einfach nur glücklich. Wir leben gerade jetzt unsere Vision von wirklich unabhängiger Herzblutmusik so aus, wie wir es wollen.
Daran habe ich früher natürlich nie gedacht. Vor 24 Jahren habe ich die Sommerferien auf dem Bau verbracht, um mir endlich ein Schlagzeug zu kaufen. Eigentlich war es ein Schrotthaufen mit Schlagzeughintergrund. Ab es war meins. Heute weiß ich eh: teures Drumkit lohnt sich nicht, wenn man eine gewisse, ich sage mal energetische Art zu spielen hat. Diese Art habe ich heute perfektioniert und weiß einfach, dass alles kaputt geht, auseinanderfällt, zerbröselt. Der Preis spielt keine Rolle. Unserer ersten Band kam diese „Technik“ gut zupass. Ein Wavepunk-Kellertrio namens Vanishing Line, welches weder die Absicht noch die Möglichkeit hatte, jemals vor Publikum zu spielen, welches sich nicht in unseren damaligen Proberaum, den Keller meiner Eltern verirrte.
Unsere Motivation war eigentlich – neben dem Entdecken der Geheimnisse, die sich einem beim Versuch offenbaren mit im Prinzip unbeherrschbaren Instrumenten sinnvolle Klänge zu erzeugen – bei jeder Probe mindestens einen Kasten Weizenbier zu leeren, über Gott und die Welt zu philosophieren und bis in die Nacht Musikvideos von Joy Division, The Cure, Fields Of The Nephilim, AC/DC, Iron Maiden, The Mission, Sisters Of Mercy, Motörhead oder Metallica zu schauen. Wir waren unfassbar schlecht, natürlich. Aber hey, wir waren eine Band!
Die Band zerbrach natürlich. Nach ca. 1 1/2 Jahren. Nicht zuletzt an der kreativen Sackgasse in der wir uns zweifelsfrei befanden. Wir waren ein hermetisches System. Um uns weiterzuentwickeln brauchten wir definitiv Einflüsse von außen, andere Menschen, Musiker, die besser waren als wir und uns herausforderten. Diese fanden wir in der bunt zusammengewürfelten, eigentlich als Abiband gegründeten Truppe, die wir Friday Is Scrapped nannten. Dieser Prozess forderte das erste Opfer. 1 Drittel von Vanishing Line konnte diesen Schritt nicht mitvollziehen. Bis heute ein schmerzlicher Verlust, denn mit dem Ende meiner ersten Band, verlor ich unseren damaligen Basser komplett und unwiderruflich aus den Augen.
Der Bandname kam damals von Lars, neben Frank der Mensch mit dem ich seit Beginn von Friday Is Scrapped bis heute auch bei Porter eine Band – mein selbstgewähltes und geliebtes Schicksal – teile. Lars hatte das Gekritzel bei einem Toilettengang im Irish-Pub auf der Wand entziffert. Frank und Lars waren dann auch die Musiker, die damals bereits so klangen, als hätten sie mit ihren Gitarren schon seit Jahren geschlafen. Bei Lars stimmte dieser Eindruck dann auch. Und entweder man wächst an seinen Mitmusikern, oder man zerbricht und hört auf. Ich darf behaupten, wir sind gewachsen und haben damals das erste Mal zusammen so etwas wie wirkliches Songwriting entwickelt. War ich, der niemals Schlagzeugunterricht genommen hatte, zu Beginn des Waverock lastigen Projektes FIS noch überzeugt, eigentlich gar kein Schlagzeug spielen zu können, war ich schon 3 Monate später sicher, dass ich das, was ich da tat, egal auf welchem Level, mein Leben lang tun will und werde. Ich fand mich grottig, aber es machte einfach nur Spaß und ich bekam den Respekt, den man benötigt, um so etwas wie Selbstbewusstsein zu entwickeln. Und als Musiker ist das noch einmal etwas ganz anderes, denn Du gehst irgendwann auf eine Bühne und jeder der davor steht, ist Dein Richter. Dass mich das niemals, nicht ein einziges Mal belastet hat, ist auch das Verdienst, all derer, die mit mir die Bühne geteilt haben. Denn mit diesen Jungs und bei FIS auch Mädels, waren wir stets eine Einheit und im Prinzip kann uns diesbezüglich auch heute noch keiner was.
Abgesehen davon, dass man mit 18, 19 Jahren in der Regel als Band ohnehin von einem recht großen, harten Kern an Freunden und Bekannten umgeben ist, der eine offene aber aktive und enthusiastische Clique (das Wort gab es damals) bildet und sowohl Proberaum, als auch jedes spätere Konzert zu einem Event (das Wort gab es damals nicht) werden lässt, kann ich meine Gefühle kaum in Worte fassen, die mich überrollten, durchströmten und für alle Zeiten abhängig machten, als wir unser aller allerersten Auftritt hatten. Nie zuvor stand einer von uns zuvor auf einer Bühne und unsere Sängerin schaffte es auch nur, nach zuvor nervositätsbedingt vollführtem Kotzen, aber als es passierte, war es etwas Magisches. Es war unsere Offenbarung, eine Art nun erst wirklich stattfindende künstlerische Geburt. Ich muss den ganzen Abend nach dem Gig eine Mischung aus ungläubigem Staunen und debilem Dauergrinsen auf dem Gesicht getragen haben. Ich wusste nur, das will ich noch mal, das will ich noch ganz oft, das will ich immer, immer wieder.
Auch diese Zeit hatte seine Höhen und Tiefen und auch diese Band zerbrach. Dieses mal merkten wir zum ersten mal, was diese ominösen musikalischen Differenzen bedeuten und anrichten können. Und auch wenn dieses Mal nicht direkt Menschen verschwanden, sich manche Beziehungen außerhalb der Musik sogar noch vertieften, blieb der harte Kern von FIS zusammen und formierte sich bereits 1992 unter dem Arbeitstitel Preacher Men neu. Musikalisch deutlich härter ausgerichtet, die düster-melancholische Seite jedoch weiter ausbauend, war es abermals Lars, der den dann endgültigen Namen Luzifer Sam – einen Titel auf der ersten Pink Floyd-Scheibe – anschleppte. Dass uns dieser Name natürlich auch Ärger und Vorurteile einbrachte war ja klar. Nach einem legendären, visionären und durchzechten Gründungsbandwochenende im November 1992 war klar, wir waren jung, wir waren willig der Musik den nötigen Platz einzuräumen und wir wollten raus.
Es dauerte nicht lange, da gingen wir wieder auf die Bühne. Und wie. In den Jahren 1993 – 1994 entwickelten wir uns zur professionellen und wahrhaft druckvollen Liveband. Unsere Nebelshows wurden schnell derart extrem, dass es kaum auffiel, wenn unsere Gitarrenmänner vorne von der Bühne zu kippen drohten oder ich während eines minutenlangen psychodelischen Solos nach hinten durch die Bühnentür kurz das WC aufsuchte und dann nahtlos wieder einstieg. Das alles hört sich jetzt vielleicht nach zu viel Alkohol auf der Bühne an. Richtig. Ab wartet Ihr mal 9 Stunden nach dem Soundcheck in einer Kabine auf Euren Auftritt wenn Ihr 22 Jahre alt seid. Ich gestehe, die Qualität der Musik hat in dieser Zeit mit Sicherheit etwas gelitten, aber die Shows haben es glaube ich mehr als wett gemacht. Wobei wir eher eine von den Bands waren, die weniger gesprungen, als vielmehr scheinbar statisch aufgestellt waren. Die Fields Shows haben unseren Sänger Holger (mein alter Freund und Vanishing Line Sänger) geprägt, Pink Floyd meine Gitarristen. 1993 nahmen wir dann in Hagen unser allererstes offizielles Demo „A Failed Effort To Putsch“ auf. Und verschickten es auf Kassette. Heute frage ich mich, wie das alles ging ohne Internet. Aber … es ging.
Das Liebesleben von Frank spülte uns 1994 einen 5. Mann an Bord. Till, der wahrhaft verrückte Till befreite Holger vom Bass, der sich so auf seinen Gesang und auch eine gewisse Theatralik konzentrieren konnte, und sorgte auch menschlich für reichlich Schwung in der Band. Holger wurde so via Metalpresse zum „Pavarotti der deutschen Metalszene“ und Till zum unersetzlichen Spaßschwungrad von Luzifer Sam. Wir spielten hier und da und überall und plötzlich stand da ein bekannter Metal-Gitarrist und bot uns an, die Band unter Vertrag zu nehmen und zu produzieren. Und was macht man da als junge Band? Man findet das überirdisch geil und unterschreibt einen Vertrag.
Dieser führt 1995 zu unserem ersten wirklichen Album „Alice Dee“, welches uns zum ersten Mal vor Augen führte, dass wir da nun wirklich in dieses Musik Business geraten waren, von dem wir so viel gehört hatten. Verdammt gute Rezensionen in Musikmagazinen folgten und wir begannen zu verstehen, dass da draußen Menschen waren, die das was wir als unsere Profession, als großen Spaß ansahen, wirklich mochten. Wozu es nicht führte war, dass wir vernünftiger, partyuntauglicher oder weiser wurden. Und so gigten wir weiter durch die Clubs und erfolgreiche Headlinernächte wie im Ringlokschuppen in Mülheim oder der Kulturfabrik in Luxemburg, aber auch die wundervollsten Misserfolge im Castrop-Rauxeler Spektrum vor 2 nichtzahlenden Zuschauern von der Presse, genauso wie die wundervollsten Independent-Kontakte zu szenewichtigen Fanzinemachern, prägten diese genialen Jahre, die wiederum uns – vielleicht sogar noch bis heute – prägten.
1997 folgte das Album „Luzidity“, welches ebenfalls gigantische Kritiken erntete und uns ebenfalls megastolz machte, jedoch genau wie der Vorgänger „Alice Dee“ viel zu sehr von den Vorstellungen unseres Produzenten und Labelchefs geprägt war, als dem nahe zu kommen, was wir live auf die Bühne brachten. Auch diese Erfahrungen leiten uns sogar mich heute bei den Aufnahmen zu Porters „Wolkenstein“, wo wir endlich das umsetzen, was wir umsetzen wollen – ohne Produzent und ohne Anleitung zum Erfolg. Man darf nun nicht glauben, dass die Luzifer Sam Alben schlecht oder gar sehr zugänglich und kommerziell waren, im Gegenteil, aber heute machen wir – auch dank der damaligen Erfahrungen – schon zu einem Maximum unser Ding.
1998 machten wir das irgendwie auch, doch kam uns da das in die Quere, was den Meisten zum Verhängnis wird. Das Erwachsenenleben. Holger war als erster fertig mit dem Studium und sah sich nicht mehr in der Lage, derart zu proben, wie wir es hätten tun müssen, um das Ganze auf das nächste Level zu bringen, kurz die nötige Zeit für die Band aufzubringen. Als Holgers bester Freund in der Band traf mich das damals mehr als hart. Immerhin machten wir zu diesem Zeitpunkt bereits seit 10 Jahren Musik zusammen und teilten eine sehr enge private gemeinsame Geschichte. Luzifer Sam zerbrach. Und das hätte es eigentlich sein können damals, was meine musikalische Vita angeht.
Wären da nicht Frank und Lars gewesen, die irgendwie genau wie ich eigentlich nicht aufhören wollten, Musik zu machen. Till entschied sich damals ebenfalls dazu, den Bass an den Nagel zu hängen und so saßen wir da. Zwei Gitarren und ein Schlagzeug. Eines war klar, wir wollten unseren Stil ändern. Weg von dem ganz düsteren und epischen Zeug, hin zu kürzeren rockigeren Songs. Aber wenn man mal ehrlich ist, kann man so etwas eh nie planen. Songs stecken in einem und kommen raus. Punkt.
Dank Nogger, einem Freund von Frank, war der Bass schnell besetzt und auch ein Sänger war per Aushang schnell gefunden. Zack, Demo aufgenommen, uuuund Sänger weg. Neuer Aushang, neuer Sänger, neues Demo aufgenommen, uuuund Sänger weg. Wir schienen gefangen in einer echt bescheuerten Schleife. Immerhin hatten wir einen Namen:
Doch dann ging alles ganz schnell, Nogger zog um, und Volker kam. Den bekloppten Basser kannten wir aus Luzifer Sam Tagen noch von vielen gemeinsamen Auftritten und Lars half zeitweise in dessen ehemaligen Band Body Lost Its Size aus. Volker kam und passte! Punkt. Dann schloss sich eine Phase des kaugummiartigen Castings an, um einen Sänger zu finden mit den skurrilsten Erlebnissen, die – ich kürze gaaaanz kurz ab – mit Christian abrupt beendet wurde und uns zu der Formation brachte, die wir heute sind.
Das Irre ist, dass wir alle, die wir heute Porter sind – ich erwähnte das eingangs – bei allem was uns allen in den letzten 20 Jahren passiert ist, noch niemals so lange in einer Band spielten, wie bei Porter. Und auch wenn Volker zur Zeit wieder mit unserem Freund, Mischer und Studiobesitzer Frank, seine Speedmetalband Shurrican reanimiert, wissen wir glaube ich alle, dass wir genau diese Band, dass wir Porter zusammen zu Ende bringen werden.
Das soll nicht mehr und nicht weniger bedeuten, dass wir 5, Christian, Frank, Lars, Volker und ich, das wir auf alle Zeiten Porter sein werden. Sollte hier jemand nicht mehr dabei sein können, wäre das das Ende von Porter. Aber: ich glaube wir stehen seit 2011, seit der EP „Damocles“, gerade erst an Anfang unseres wirklichen Lebens mit Porter.
Und wenn das alles eine Moral haben sollte, dann definitiv die, dass Ihr alle dort draußen, die Ihr eine Band habt oder eine Band haben wollt, diese niemals aufgeben solltet. Die Möglichkeit zu haben, Musik zu machen die man liebt, mit Menschen, die man verdammt noch mal auch liebt, ist so verdammt wertvoll. Das merkt man allzu oft erst, wenn es vorbei ist.
Ich liebe das was ich tue.
Und Ihr habt Euch nun durch diesen wirklich langen Text gequält und wahrlich verdient etwas Schönes zu tun.
Ich bedanke mich.
Euer Markus.
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