Da wollte ich endlich mal wieder einen ernsthaften Text schreiben und bin sogleich an Spiegelei gescheitert.
Tja, der Hunger. Es spricht ja nichts gegen den Blick in den Spiegel, auch wenn das nicht gerade mein größtes Hobby ist, aber oft sieht man sich dann ja doch jemanden gegenüber, dem man durchaus skeptisch begegnet. Und ich rede hier nicht vom optischen Erscheinungsbild, sondern davon was man sieht wenn man sich kurz Zeit nimmt, die Hände auf dem Waschbecken aufstützt, sich selbst tief in die Augen sieht und fragt: „Na, sind wir denn gerade der, der wir wirklich sein wollen?“
Ich meine, hey, ich bin ein grundoptimistischer Mensch
und das kann mir auch unsere derzeitige Gegenwart mit all ihrem Unbill voller dümmlich verbrecherischer Diktatoren, gröhlender Salonnazis, gewinnoptimierter Unternehmen, denen die Zukunft des Planeten schießegal, pardon scheißegal ist, patriarchaler Strukturen und ihrer chauvinistisch-rassistischen Protagonisten, die nicht verstehen wollen und können, dass die Zeiten sich ändern müssen, oder – da ich gerade bei den altdenkenden bin – das immer gleiche arrogante Vorvorgesterngesicht eines Friedrich Merz nicht nehmen. Dennoch: tritt man mal ein paar Schritte zurück, um das große Ganze besser erfassen zu können, und fokussiert gleichzeitig auf das, was man selbst in der Hand hat, erkennt man doch immer wieder, wie man hier scheitert, dort schludert und bei noch einer anderen Sache eher inkonsequent handelt. ABER: ist das wirklich so schlimm? Ist es nicht viel wichtiger und auch geiler, Dinge zu versuchen, an denen man dann erst einmal scheitert, als sich gar nicht zu bewegen?
Christoph Schlingensief hatte bereits in den 90ern das kongeniale Motto „Scheitern als Chance“ ausgerufen, mich damit tief beeindruckt und ganz offensichtlich auch in meinem Denken und Handeln beeinflusst. Diesen ganzen Leerversprechen von Coaches und Trainern zum Trotz, die an der kollektiven Optimierung der bezahlenden Welt so gerne so viel verdienen möchten, ist es für mich doch viel reizvoller eben nicht perfekt durchs Leben zu rasen, sondern auch mal mit unerledigten Dingen einfach auf einer Wiese fernab jeden ursprünglichen Wollens liegen zu bleiben. Pläne, und das kennen wir alle, Pläne sind geradezu prädestiniert dazu, zu scheitern. Das ist aber nicht schlimm. Denn dann stellt man sich eben um und kommt auf eine viel bessere Idee.
Zum Versagen gehören ja auch immer Ausreden, Rückzieher oder schlichte Fehler.
Ja und? Die Welt geht nicht vor die Hunde, weil irgendjemand für sich versucht sie zu retten, sein eigenes Handeln in Frage stellt und dabei erst einmal scheitert, sondern weil wir es kollektiv nicht auf die Reihe kriegen, den ersten Schritt zu tun und ein Scheitern überhaupt erst einmal in Erwägung zu ziehen. Denn das würde bedeuten, dass wir überhaupt erst einmal aktiv werden müssten. Dazu gehört es, Veränderungen anzustoßen und zu akzeptieren, dass noch niemals etwas geblieben ist, wie es mal war (nicht wahr, Herr Merz?).
Ich glaube, ich hatte noch niemals eine solche Aversion gegen konservatives Denken, wie gerade jetzt. Je älter ich werde, desto absurder empfinde ich die konservative Abwehrhaltung gegen Veränderungen, gegen das notwendige, unvermeidliche Ausprobieren von Neuem, gegen das Nichtaufgeben angesichts sich abzeichnender Katastrophen. Diesem Festhalten an Althergebrachtem liegt immer auch diese grundsätzliche Angst vor dem Scheitern zugrunde. Neues kann immer schief gehen, stimmt. Das Ding ist, wenn das Alte bereits komplett vor die Wand gefahren ist, sollte man keine Angst vor Neuem haben.
Doch zurück zum Spiegel.
Sagen wir es mal so, ich hatte schon Phasen in meinem Leben, da habe ich meinem eigenen Blick weniger standhalten können, als gerade. Das bedeutet nicht, dass ich da irgendwo Perfektion sehe. Aber die, so ehrlich bin ich inzwischen zu mir selbst, suche ich auch gar nicht. Ich suche den Typen, der den Willen zum Scheitern hat, der ausprobiert und Lust hat sich zu verändern, der – immer noch Optimist – gewillt ist, zu kämpfen. Und der Typ im Spiegel zeigt mir ein kleines Lächeln.
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