„More than machinery, we need humanity!“
Wie lange musste ich auf dieses neue Werk warten. Alle Voränger haben seit dem Debutalbum immer wieder neuen Appetit geweckt auf mehr, viel mehr Musik von dieser Ausnahmeband. Das letzte erst Recht. Erschien „The Misery Index“ immerhin bereits 2006 und mauserte sich recht schnell zu meinem Lieblingsalbum aller Zeiten, musste ich die Zeit der Auflösung, der neuen Projekte und der glücklicherweise geschehenen Wiedervereinigung darben, bis ich gestern am 7.6.2013 endlich das neue BSF-Machwerk in den Händen halten durfte.
Klar gab es hier und da einen Song vorab zu hören und auch dank einiger Interviews legte ich mir bereits meine Erwartungen zurecht. Aber alles kommt ja eh immer anders als man gemeinhin denkt. Und so war ich dann doch nervös wie ein Teeny, dessen Lieblingskünstler etwas Neues herausbringt. Um es der Spannungsvernichtung halber vorweg zu nehmen: ich wurde kein Bisschen enttäuscht.
Bereits im ersten Song schreit mich Herr Gray an, als müsste er nur noch diesen Song singen und seine Stimme danach wegwerfen. Ich bin sofort drin. Die Nervosität ist weg, dafür strahlen meine Augen, die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, ich greife zum Booklet und grinse wahrscheinlich reichlich debil.
Während sich die durch George Bushs reaktionäre Gesetzgebung nach 9/11 kurzzeitig politisierte Spaßpunkszene um Green Day und Konsorten inzwischen wieder auf Liebeslieder zurückgezogen hat, prangt nicht nur auf der Boysetsfire Website der Zusatz „Political Post-Harcore“. Nein, dieser Anspruch trieft aus jedem der 13 neuen Songs, Nathan Gray schreit seine, leider immer noch aktuelle Forderung nach freier Meinungsäußerung und der Gleichberechtigung aller, dem geneigten Hörer wie eine wütende Vernichtungsmaschine entgegen. Nicht hinnehmen wollend, dass sich die vermeidlich freien Gesellschaften eben dieser Freiheit Schritt für Schritt berauben lassen, dass sich religiöse Eiferer gleich welcher Couleur missionarisch in der Mitte der Gesellschaft breit machen, anstatt ihre Neigung für sich auszuleben, dass Rechtsstaaten Menschenrechte mit Füßen treten und damit ihre eigene Überzeugung verraten und ihre Legitimation aufs Spiel setzen, schafft er es, dass sogar die ruhigeren Songs in ein Fahrwasser geraten, dass von wütender Rebellion und durch Aufklärung genährter Aufruhr durchdrungen sind.
Boysetsfire 2013 sind nach wie vor eine Macht. Die Musik wird wie seit den ersten Songs getragen von der explosiven Mischung aus Melancholie und Aggression, wirft einen in eine oftmals nicht zu gewinnende Schlacht gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, jedoch ohne jemals die in jedem Fall mitschwingende Hoffnung zu verlieren. Die Parole ist glasklar. Wir werden vielleicht verlieren, vielleicht sogar alles, aber das bekommen sie nicht kampflos. Und wer weiß, vielleicht, wenn wir doch einfach mal alle zusammenhalten würden, vielleicht können wir ja doch alles zum Guten ändern. Und so werden sie wieder hochgehalten, die klassischen Tugenden des politischen Hardcore, an Werte wie Gleichheit, Menschenrechte und Zusammenhalt und vor allem an die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu glauben und diese unter keinen Umständen zu verraten. Dem kleinen Mann, dem Unterdrückten eine Stimme zu geben.
Flirtete das 2006er Album noch offen mit Kitsch und Popappeal, machte sogar Trompeten und Streicher für den Hardcore salonfähig, so geht „While a nation sleeps“ wieder ein paar Schritte vorwärts im Härtegrad. Speziell der Gesang dürfte auf keinem BSF-Album so schungslos an die Grenzen gehen. Es gibt aber auch einfach Zeilen, die müssen voller Verzweiflung geschrien werden. Und so ist auch das neue Werk der Hardcoreurgesteine voller noch immer gültiger und wichtiger Arschtritte für alle Zufriedenen und Sedierten.
„This is where I will stand, and here is where I will stay until my last breath, until my dying Day, cause we have nothing to lose, no reason to hide, no hope for tomorrow, if not for tonight, hold your ground and fight, let this moment never fade away, I believe our lives are still worth fighting for, we are free as long as we demand to be.“
Hier ist eine Band am Werk, die es kurzzeitig und sogar auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zerrissen hatte. Eine Band die sich wiederzusammenfand, weil es eben doch noch etwas zu sagen gibt. Und die gemerkt hat, dass man es auch mit einer Institution wie BSF locker angehen lassen kann, zuerst kommt das Leben dann die Kunst. Aber was wäre das Leben ohne Kunst. Und selbst, wenn Kunst das Leben vielleicht nicht ändern kann, so kann, so muss sie es wenigstens versuchen.
„Your Symbols are stolen, your words are nothing new, bleed with pride for your masters, you weak pathetic fool, fuck your prophets, fuck your holy war, fuck your laws, fuck what you kill for!“
Boysetsfire sind zurück und ich bin glücklich!
Und hier findet Ihr ein wunderbares „Track-by-Track“-Video in dem BSF jeden Song besprechen.
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