Einer immergleichen kindlichen Vorfreude verhaftet gehe ich mit.
Nein falsch. Ich bin es, der sie mitnimmt. Es ist mehr als eine Pflicht.
Tiefer als jede Tradition. Es ist eine Verantwortung.
So dringen wir also ein, in den frei zugänglichen Kreis einer zwar
losen Gemeinschaft, wie sie dennoch eingeschworener nicht hätte
sein können; dessen ursprüngliche Entstehung ich selber zwar auch
nur nachgelesen hatte, der ich mich aber dennoch in einem übergeordneten
Sinn, tief verankert in meinem Herzen, zugehörig fühle.
Selbstverständlich bin ich längst einer derjenigen, die sich – selber
– aufgrund ihres Status quo, nicht zuletzt des Alters, in den Stand
der alles Hinterfragenden befördert hatten. So ist es auch nur allzu
offensichtlich, dass jeder, der hier noch älter ist, ein direkter Verbündeter
und damit Mitwissender zu sein scheint.
Hohepriester unter sich.
Zu erkennen sind wir für andere kaum. So ist es schon immer
gewesen. Wenn man dazu gehört, versteht man sich blind und
mitunter auch taub, aber niemals für die Mehrheit ersichtlich. Ein
kurzes Nicken, ein vielsagender, nicht selten grinsender Blick genügt,
Wo seid Ihr in 10 Jahren?
um den Eingeweihten die eigene Erleuchtung, und somit einen eingeforderten
Respekt, wie ein gewährtes gegenseitiges Inruhelassen,
zu signalisieren. Kein territoriales Platzhirschgehabe bestimmt fortan
die Atmosphäre, sondern vielmehr die Wahrnehmung einer geistigen
wie ordnenden Verantwortung, angesichts der erlebten Geschichte,
wie sie hier und an ähnlichen Orten in der ganzen Welt stattgefunden
hatte.
Ein seit jeher gleicher Ritus bestimmt den Ablauf. Elitäres
Denken im Privaten eines jeden Einzelnen prallt frontal auf eine kollektive
Weltoffenheit, die sich selber zu genügen scheint. Doch außer
im Scherz spricht niemand ernsthaft darüber. Dazu ist es viel zu
ernst. Aufgedrehte Novizen wie abgeklärte Großmeister – die Drahtzieher
im Stillen, die Exekutive in der Aura des Rampenlichts: jeder
spielt die ihm letztendlich von sich selbst zugedachte Rolle. Und das
in einer Perfektion, die man niemals wird durchschauen können,
wenn man nicht wenigstens für eine gewisse Zeit ein kleines Teil des
großen Ganzen gewesen ist.
Ein ganz genau auf die essentiellen Bedürfnisse und offensichtlichen
Aufgaben des Individuums ausgelegtes taktisches
Stellungsspiel, bringt die ersten größeren Bewegungen in eine nur
vordergründig träge erscheinende Masse von permanent Konsumierenden.
Dichter Rauch liegt über dem Schauplatz und Sauerstoff
ist eine begehrte wie knappe Luxusware, von der abhängig zu sein
man sich jedoch nicht die Blöße gibt. Keine Schwäche dulden oder
offenbaren. Das bedeutet auch, die bereits zum virtuellen schneiden
vorbereitete, atembare Luft, durch eigenes inzestuöses Zutun
noch ungenießbarer werden zu lassen. Nichtraucher mutieren zu
Kettenrauchern, obschon sie sich bereits seit Jahren aufgrund des
gesundheitlich motivierten Verzichts durchschnorren müssen. Nebulöse
Schemen tanzen vor aller Augen ihren bedrohlichen Schattentanz,
geisterhafte Bewegungen fließen sich aneinander liquidierend
ineinander, Körper tauschen flüchtige Energien aus, muten sich
gegenseitig innigste Berührungen zu. In Sekundenbruchteilen finden
und verlieren sich Überzeugungen, die unterschiedlicher nicht sein
könnten, hier jedoch ihren kleinsten gemeinsamen Ethik-Nenner im
Nebelrausch suchen und für die zuckenden Momente, die es andauert,
auch finden. Schweißnasse Aggressionen entladen sich auf denkbar
bedrohlichste, wenngleich harmloseste Art, alltägliche Ängste
brechen sich Bahn, aufgestaute Emotionen dirigieren ihre Besitzer
schamanenhaft durch die sich durch sie rotierende Menge.
Ich stehe abseits und betrachte, versunken in den Untiefen
meiner sich auch dank solcher Ereignissen herausgebildeten Persönlichkeit,
die Erinnerung, einmal genau den gleichen Impulsen
auf genau die gleiche Art gefolgt zu sein, dem schreienden, sich
verausgabenden Pulk angehört zu haben; immer darauf bedacht, für
winzige Augenblicke noch einmal so fühlen zu können, wie einst.
Und es funktioniert.
Es reichen ein paar Worte, ein Ruf, eine Folge gelernter und
gänsehauterzeugender Töne, vielleicht gepaart mit einem meine
Augen blendendem, die Wirklichkeit fragmentierenden Licht, und es
ist wie damals. Die Augen ins Unendliche fokussiert genieße ich, wie
mein Körper von Wärme durchströmt wird, von diesem unnachahmlichen
Gefühl der Einheit, dieser für diesen Moment unumstößlich
wahren Gewissheit, dass ich mein eigener, in seinem sakralen Still-
stand um sich selbst kreisender Mittelpunkt und in diesem Moment
wahrhaft glücklich bin. Hier gehöre ich her. Mein Körper steht unter
einer in seiner Vertrautheit eigenartigen Spannung. Was auch immer
um mich herum passiert, verschmilzt zu einem großen Ganzen, zu
einem fraktalen Wirklichkeitsklumpen, wie es ihn homogener nicht
geben kann. Ich gebe mich dem schieren und reinsten Genuss hin,
sogar jetzt im tiefsten Bewusstsein, dass es nicht von Dauer ist und
genau das macht den finalen Reiz aus.
Doch dann. Eine seltsame Klarheit schießt durch meine
Nervenbahnen, lässt mich immer ruhiger werden, den Puls verflachen,
der Lärm, alles um mich herum verebbt, als würde jemand den
Master-Regler herunterziehen, als wäre der Stöpsel aus diesem jede
aktive Teilnahme beanspruchende Existenz in sich hineinsaugenden
Abfluss gezogen worden. Meine Wahrnehmung ist mitnichten gestört,
alles funktioniert, wie ich glaube, dass es soll und sogar noch
weit darüber hinaus. Der Mob hat sich keineswegs beruhigt, nichts
hat sich im Vergleich zu den Sekunden vorher auch nur im kleinsten
Detail geändert. Wie automatisiert, gedankenverloren, nehme ich
einen selbstbelohnenden Schluck aus meinem Bier, in beinahe melancholischer
Erinnerung an eine dem Zeitstrom zum Opfer gefallene
Unbeschwertheit. Dann lasse ich meine Augen über die sich langsam
wieder in optisch klar unterteilbare Bereiche entzerrende Szenerie
schweifen, die verschiedenen Grade der Involviertheit an Kontur
gewinnen und die wie kommandoartig organisierte Struktur wird
sichtbar. Meine sich gegenseitig der Federleichtigkeit versichernden
Gedanken spielen sich unbeschwert die Sinnbälle zu, jonglieren freier
denn je mit – mal wieder – aufgebrochenen Denkmustern.
Von vorne erschallt ohrenbetäubend eine Kampfansage, die
in ihrer Güte und Klarheit, ihrer Simplizität und Wahrheit, reiner nicht
hätte sein können. Die Stimme ist ungefähr so alt wie ich und muss
sich ebenso der Tragweite, wie auch der sich in letzter Konsequenz
offenbarenden, unterhaltenden Sinnlosigkeit ihres Tuns bewusst
sein. Dennoch erreicht sie voller echt empfundenem Idealismus die
ekstatischen Massen, die ihre Zustimmung – man ist versucht zu
sagen, ihre blinde Zustimmung, auch wenn das hier nur die halbe
Wahrheit ist – durch lautstarkes Klatschen und Brüllen auf eine mehr
als archaisch anmutende Weise bekundet.
Ich muss grinsen.
Halb die neuerstarkte Gänsehaut genießend, halb das, was
ich in diesem Moment als Weisheit empfindende verspürend, begleiten
mich für die idealisierte Masse finstere Gedanken treusorgend
in meine geräumige Oase der Unberührbarkeit. Ein weiterer Schluck
Bier aus dem immer gleichen Plastikbecher und ich bin sicher. Was
sich bereits seit einigen Jahren seinen Weg bahnt, ist nun Gewissheit.
All die energetischen Novizen, nicht weniger diese vielen langjährigen,
die Ideen einer Szene lebenden Vitalteile des Pulks, sie alle
erhalten das Ganze am (Über-)Leben, sie alle sind sein Leben. Ohne
sie wäre ich nicht hier, wäre niemand hier, hätte ich diesen kleinen,
nahorgasmischen Höhepunkt nicht erleben dürfen, wären all die
Ideen, die das hier ausmachen, kraftlos, belanglos, nicht existent,
vielleicht auf ewig tot.
Und dennoch, ein Gedanke übertrifft sie alle. Eine simple
Frage kristallisiert sich heraus, die zu stellen mir die Reife auferlegt,
und ich bin größer, als noch vor fünf Minuten.
Wo seid Ihr alle in zehn Jahren?
Sitzt Ihr morgendlich gekämmt in einem angenehm klimatisierten
Büro? Habt Ihr 26 Tage Urlaub und einen Firmenwagen? Macht Ihr
Pauschalurlaub im All-Inclusive-Hotel? Verstopft Ihr die Straße mit
extra für sie verbauten Allrad-Jeeps? Lauschen Eure Ohren denselben
mainstreamformatierten Radiosendern wie diejenigen, die Ihr
heute verlacht? Haben Eure Kinder jene Markenattribute verinnerlicht,
die Euch noch in diesem Moment als indiskutabel erscheinen?
Verspürt Ihr das Bedürfnis, wenigstens etwas sollte so bleiben wie es
ist? Schaut Ihr Euch manchmal die Fotos an und klopft Euch auf die
Schulter, um Euch zu vergewissern, dass Ihr dabei wart? Kauft Ihr
Eure Lebensmittel in Geschäften, die Ihr Euch heute schlicht nicht
leisten könnt? Wählt Ihr vielleicht sogar die Partei, die in diesem
Moment auf Euch herabschaut?
Und dann wird mein Grinsen noch etwas breiter und mit leider zu
gleichen Teilen rückwärts wie vorwärts gewandter Sentimentalität
bedankt sich die Gewissheit bei meinem Verstand.
Wir
Können
Nicht
Alle
retten.
Die Frage stellt sich im Prinzip doch überhaupt nicht.
Wo seid Ihr in 10 Jahren? Angepasst wie Arsch!
Und es ist in Ordnung.
Und mit einem mal fühle ich mich gut.
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